Sonntag, 15. Juni 2008

Die Dialektik der Kunst: Bedürfnisanstalt sucht Bedürfnis

Pfaffenhofen/Ilm hat ein goldenes Klo auf dem Hauptplatz - und keiner muss, weil es keinen Biergarten gibt, in dem er sich abfüllen kann

Wenn einer eine Reise tut, mutmaßen die Daheimgebliebenen mit einem hauchzarten Anflug von Neid, dann kann er was erzählen. Quatsch. Nicht Quatsch erzählen! Das kann jeder. Es geht darum, dass diese Aussage, wie so viele, denen die Daheimgebliebe­nen aufsitzen, Quatsch ist. Sie hat nämlich kein Fundament. Richtig lautet sie: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Kann! Hier umschiffen wir bereits die Dialektik, die uns in leichtfertiger Deduktion glauben machen möchte, dass jeder Reisende etwas zu erleben hat, was er dann auch noch – wahrheitsgemäß – den Daheimgebliebenen erzählt. In Notsituationen darf gelogen werden.
Erst kürzlich ist uns in der Stadt ein Reisender begegnet. Er hatte tatsächlich noch seine unterneh­mungslustigen Mallorca-Klamotten aus der letzten Saison an und stell­te, mit klandestinem Blick hinter der Sonnenbrille, einige schwierige Fra­gen: „Wem gehört das Fahrrad, das gestern in Chicago umgefallen ist?“ – „Wie heißt die Hauptstadt von Bur­kina Faso?“ – „Wo ist in Pfaffenhofen ein Biergarten?“ Das Fahrrad ge­hört Johnny Rourke. Die Stadt heißt Ouagadougou. Und der Biergarten ist, ja, also der Biergarten, der Bier­garten müsste hier irgendwo sein.

Auf der Suche nach dem verlorenen Biergarten

Ist er nicht. Es gibt einige Gaststät­ten in der Stadt, die ihren Gästen den Luxus bieten, im Freien zu sitzen, um dort von ihren Reiseerlebnissen zu flunkern und eine Maß – oder auch zwei – zu genießen. Aber nicht alles, was ein bisschen Grün und frische Luft mit Bier verbindet, verdient den Namen Biergarten. Ein Garten, sagt uns der Etymologe, sei ein zart „umgürteter Raum“, in dem man sich wohlfühlen kann – und dann noch ein Bier: perfekt!
Ein Anflug dieser Beschaulichkeit hatte sich vor Jahren auf dem Haupt­platz niedergelassen, unter mäch­tigen Kastanien, und niemand mag sich mehr daran erinnern, wie der Sigl-Wirt diesen verzweifelten Ver­such, ein Stück bayerischer Tradition in der Stadt zu erhalten, resignierend aufgab.
Das Wahre war es ja nicht. Aber seien wir ehrlich: Wer träumt nicht heim­lich von einem Biergarten in der Stadt, der all die klassischen Voraus­setzungen erfüllt? Schattige Bäume, fesche Bedienung, vielleicht ein bis­schen knirschenden Kiesel zwischen den Bänken, und dazu dann ein Bier, das die deftige Brotzeit genüsslich und gehorsam in den zufriedenen Magen geleitet.
Einem Gerücht zu Folge soll sogar Bürgermeister Herker, von der Sehn­sucht nach dieser beschaulichen Idylle getrieben, kilometerweit durch die Hallertau fahren und in einem schattigen Schlossgarten einkehren, um dann gedankenschwer in seine biergartenlose Stadt zurückzukehren. Die Pflicht ruft, und der Hauptplatz möchte umgestaltet werden: Ist da eventuell ein Biergarten mit drin? Entschuldigung, Scherzfrage! Obwohl: Die Zeichen der Zeit weisen darauf hin. Eine alte bayerische Weisheit lautet, dass Bier und Klo zusammen gehören wie Weißwurst und Senf. nicht, dass Weißwurst unbedingt etwas mit Weisheit zu tun hätte; da möchte sich nur die Dialektik wieder einschmeicheln! Aber die vier Komponenten der genannten Weisheit haben doch eines gemein- sam: Die Einen werden seit ewigen Zeiten und mit wachsender Begeiste- rung in die Anderen getaucht, Senf in Weißwurst, Bier ins Klo. Und jetzt brauchen wir die Dialektik, ob sie nun will oder nicht! Da hat doch tatsächlich ein lokaler Künstler auf dem Hauptplatz, vor dem Rentamt, eine These aufgestellt!

These? Antithese? Genau: alles fließt!

Manfred Habl, der Schöpfer dieses Werks, hat dafür auch gleich freundlicherweise die Erklärung mitgeliefert: „Weil Kunst ein Bedürfnis ist“. Die These in Form eines Toilettenhäuschens, in edlem gold gehalten, mit Aufschriften, die wie zweideutige Weisheiten daherkommen („Werbung ist Macht, weil sie macht“), ist das materialisierte Versprechen an die Öffentlichkeit, beim Verspüren eines Bedürfnisses Erleichterung zu verschaffen. gut, noch fehlt uns das Bedürfnis; doch Thesen, so lehrt uns alter Philosophen Weisheit, entwickeln Eigendynamik, die uns zwangs- läufi g zur Antithese führt. Das lässt hoffen. Wenn diese öffentliche Bedürfnisanstalt ein Bedürfnis weckt, was böte sich zur Unterstützung geradezu klassisch an? Ein Biergarten! Denn wo Bier raus kann, muss auch Bier rein. Der Etymologe weist uns übrigens darauf hin, das Klosett sei ein „umschlossener Raum“, und schon daran zeige sich eine nicht zu leugnende Affi nität zum „umgürteten Raum“ des Biergartens. Man sieht also, wenn schon nicht alles Eins ist, so ist es doch auf geheimnisvolle Weise mit einander verbunden. Hat das goldene Klo aber wirklich die Macht, uns einen Biergarten zu bescheren? Panta rhei, Kunst im Fluss, oder, und hier gibt sich die Dialektik ein letztes Mal die Ehre, alles fließt in Kunst, in ein vergoldetes Kunstwerk. Uns traurige Philosophen aber, unter imaginären Kastanien hinter einer geträumten Maß sinnierend, wird weiterhin, bis zum Auftreten eines Bedürfnisses, die so beliebte wie ungelöste Frage beschäftigen: Was war zuerst, Huhn oder Ei? Schenkt uns das Ei ein Huhn, oder legt uns das Huhn ein Ei?
Ein goldenes? Wie Habl?



Fotos und mehr bietet http://www.das-goldene-klo.de/

So, und jetzt?

Das ist ja wirklich alles schön, was man da so machen kann; aber wie geht's denn jetzt weiter?
Dauert ein bisschen, bis ich hier die Kurve kriege, doch dann...
Scheint ein interessantes Projekt zu werden!
Bis demnächst also!