Donnerstag, 6. August 2009

Die Geheimnisse Bavariens

Groß ist die Zahl, in der die Geheimnisse Bavariens, jenes Landes zwischen dem Flusse Donau und den Ausläufern der alpinischen Berge, gemessen werden, doch nun flackert ein Kerzenlicht im Dunkeln.

Geheimnis No 1: Der Bavarische Ameisenbär


Fortsetzung folgt!

Dienstag, 3. Februar 2009

Die Opferweißwurst




Jeder weiß es. Das Leben ist hart. Mancher mag da noch hinzufügen: aber fair, doch damit ist sicher nicht der biblische Sündenbock einverstanden, den man im 3. Buch Mose mit den Sünden des Volkes beladen in die Wüste jagte – zum Verhungern. Er hätte sich sicher was Schöneres vorstellen können als geopfert zu werden.
Das Leben ist hart, wenn’s um die Wurst geht. Meine Großmutter hat immer eine nette Geschichte erzählt. Sie spielt in Spanien und handelt von einer armen Wurst. Immer wenn die Familie beim Essen saß, kamen die Hunde der Umgebung und belagerten den Tisch. Also warf die kluge Hausfrau den Hunden aus dem großen Kessel eine Wurst zu. Nicht damit auch die Vierbeiner satt würden, sondern aus Berechnung. Die Köter waren beschäftigt: Sie stritten um die Wurst und die Familie konnte in Ruhe ihr Mahl einnehmen.
Ohne hinterhältige Berechnung, aber mit Sinn für kulinarische Finesse hat nun das Volk südlich des Weißwurstäquators eine besondere Form des Opfers entwickelt. Immer kurz vor dem 11-Uhr-Läuten, wenn der Kessel auf den Herd landete, um die geliebten Weißwürste aufzunehmen, setzte sich mein Großvater in die Küche, zog ganz langsam sein Messer aus der Tasche, suchte mit dem scharfen Blick des Kenners eine Wurst aus. Mit Bedacht und aller Sorgfalt pulte er ihr liebevoll die Haut ab. Dann landete sie im Kessel. Nackt und bloß kochte sie dort vor sich hin, und genießerisch beobachtete mein Großvater, wie die feinen Geschmackstoffe sich aus der Wurst lösten und im Sud verteilten.
Erst wenn der Großvater das Zeichen gab, erst wenn der Sud eine Färbung angenommen hatte, die ihm, dem Meister der Weißwurst, die gewünschte Sättigung des Suds mit Weißwurstgeschmack garantieren konnte, durften die restlichen Weißwürste eingelegt werden. Und die geschälte, ausgelaugte Wurst wurde entfernt, in die Wüste geschickt. Sie, das Opfer, hatte ihre Schuldigkeit getan.
Nun kommt die Physik ins Spiel. Die „Opferweißwurst“, so erklärte der Großvater uns Kindern gerne und immer wieder, habe den Sud gesättigt. Deshalb könnten die übrigen Weißwürste jetzt beruhigt vor sich hin kochen und ihren vollen Weißwurstgeschmack, den er und sein Volk so lieben, nicht mehr an den Sud abgeben: „Das ist ein physikalisches Gesetz“, postulierte er und hatte sogar einen Namen dafür, den sich keiner merken konnte und der irgendwie nach ausgleichender Gerechtigkeit klang.
Physikalische Gesetze gelten immer, überall und, vor allen Dingen, in allen Kesseln. Seit 18 Jahren brodelt im Wolnzacher Rathaus-Kessel der selbe Bürgermeister, und man sollte annehmen, dass der Sud so richtig „g’schmackig“ geworden ist. Jetzt, vor der Wahl, nach der sich der Bürgermeister in die Wüste des Landkreises verabschiedet, und wo die potenziellen Nachfolger sich noch geschmacklich profilieren wollen, würde ihnen der Großvater wohl empfehlen, doch einfach mutig und kopfüber in den Kessel zu springen. Und unter Anwendung seiner physikalischen Gesetze erhielte man folgendes Ergebnis: Je geschmackloser einer eintaucht, desto größer wäre die Wahrscheinlichkeit, mit Bürgermeister-Geschmack wieder aufzutauchen. Pech dagegen hätte der, dessen starker Eigengeschmack keine Aufnahme der Ingredienzien aus dem Sud mehr zulässt. Möglicherweise hat er aber danach wenigstens Schwimmen gelernt, und diese Fähigkeit soll ja Grundvoraussetzung dafür sein, um in einem Haifischkessel zu überleben.
Und was lernt der Wähler, dem ein schwerer Gang zur Urne bevorsteht? Richtig: Das Leben ist hart. Hart wie eine Opferweißwurst.

... denn der Hund kann nicht lesen

Wer ein Faible hat für ergreifende Liebesgeschichten vor den dramatischen Hintergründen eines Krieges und gleichzeitig fasziniert ist von den Komplikationen, die sich beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen zwischen Mann und Frau ergeben, wird jetzt sofort stutzen. Wer kann nicht lesen?
Richtig: Der Wind! Der Wind kann nicht lesen, und allen, die diesen wunderbaren Roman gelesen haben, hat sich diese Feststellung unauslöschbar im Gedächtnis festgesetzt. Nun wissen wir aber, die den grauen Zellen mit wissenschaftlicher Präzision auf die Beine helfen, dass das Eine das Andere nicht ausschließt. Es ist also durchaus möglich, dass ein Hund seine Schlappohren in den Wind hält und beide nicht lesen können. Wobei ich mir beim Hund sicher bin; dem Wind allerdings traue ich zu, dass er zumindest Gedanken lesen kann. Er plaudert sie nur nicht bedenkenlos aus.
Der Titel des Romans geht übrigens auf ein japanisches Gedicht zurück, das wohl die Sinnlosigkeit thematisiert, die allen mahnenden, insbesondere den geschriebenen Worten innewohnt: „Wenn auch die Worte geschrieben sind:/ ‚Nicht pflückt die Blüten! Sind lebend Wesen!’ /Die Zeichen vermögen nichts wider den Wind./ Denn der Wind kann nicht lesen.“
Der Handlung des Romans spielt in Fernost, wo dem Hund, im Gegensatz zur Himmelsmacht Wind, keine besondere Liebe entgegengebracht wird, und deshalb besteht Grund zur Annahme, dass man dem Hund dort nicht mal die Fähigkeit des Nicht-Lesen-Könnens zutraut. Ein Hund kann gar nichts; er geht nur im Weg um.
In kulturell hochentwickelten Zivilisationen wie Bayern ist der Hund nicht nur des Jägers, sondern überhaupt des Menschen bester Freund. Doch nicht mal einem allerbesten Freund würden wir erlauben, seine menschlichen Geschäfte in unserem Wohnzimmer zu erledigen. Für bestimmte Tätigkeiten hat sich der Mensch bestimmte Örtlichkeiten eingerichtet; das ist gut so und nennt sich funktionales Leben. Üblicherweise kann der gesunde Menschenverstand in einer Küche nicht wohnen, in einem Wohnzimmer nicht schlafen und in einem Schlafzimmer nicht kochen. Außer mit Gewalt. Einem Hund ist das egal. Er würde in einer Küche auch …
Da in einer Küche nur gekocht wird, muss der Hund raus. Wenigstens zwischendurch, um sein Geschäft zu erledigen. Ich habe schon oft gehört, dass ein Hund raus muss, weil er Bewegung braucht, und ich bin auch überzeugt, dass dasselbe für den Zweibeiner gilt, der sich als sein Herrchen ausgibt, doch ich habe ebenso den Verdacht, dass dem Hund damit ein Ausgleich geboten wird für die Verweigerung eines speziellen Örtchens, das sein Herrchen vor und/oder nach dem Ausgang mit Bewegung wie selbstverständlich aufzusuchen pflegt.
So schön ist nun der Spazierweg an der Wolnzach entlang auch wieder nicht, doch von geführten Hunden wird er gerne genommen. Wer die Häufigkeit der Haufen, die die Vierbeiner nicht nur am Rande des Weges, sondern auch mitten auf dem selben wie in sich zusammengesunkene braune Slalomstangen für sportliche Radfahrer platzieren, als Indiz nimmt für die Beliebtheit des Weges, könnte zu dem Schluss kommen, dass die Marktgemeinde in ihren Anstrengungen, den Tourismus im Ort auszuweiten, gut beraten wäre, Hunde (die natürlich mit Herrchen kommen) als eventuelle neue Zielgruppe ins Auge zu fassen.
So weit wird es, der Vernunft sei Dank, nicht kommen. Denn der Weg ist jetzt bereits überlastet, an seine Kapazitätsgrenze gestoßen. Mehr muss wirklich nicht sein, und weniger wäre schon besser; nichts wäre am Besten. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Gemeinde nun Schilder aufgestellt, die, zwar nicht in Form eines japanischen Gedichts, aber ebenso eindringlich, bittend fordern: „Hunde bitte anleinen! Bitte Wege u. Wiesen nicht als Hundeklo benutzen“.
Wir werden die Entwicklung wohlwollend beobachten, wiewohl wir kein großes Vertrauen in eine umfassende Besserung der Verhältnisse setzen. Eher tendieren wir zu asiatischen Weisheiten: „Wenn auch die Worte geschrieben sind: Die Zeichen vermögen nichts wider den Hund, denn der Hund kann nicht lesen“. Wir wissen dies natürlich auch ohne asiatische Weisheit, das ist ein alter Hut. Beunruhigender ist, dass die Haufen nicht weniger werden, und das legt den Verdacht nahe, dass der, den der Hund an der Leine hat, des Lesens genauso wenig kundig ist wie der Hund.

Sonntag, 15. Juni 2008

Die Dialektik der Kunst: Bedürfnisanstalt sucht Bedürfnis

Pfaffenhofen/Ilm hat ein goldenes Klo auf dem Hauptplatz - und keiner muss, weil es keinen Biergarten gibt, in dem er sich abfüllen kann

Wenn einer eine Reise tut, mutmaßen die Daheimgebliebenen mit einem hauchzarten Anflug von Neid, dann kann er was erzählen. Quatsch. Nicht Quatsch erzählen! Das kann jeder. Es geht darum, dass diese Aussage, wie so viele, denen die Daheimgebliebe­nen aufsitzen, Quatsch ist. Sie hat nämlich kein Fundament. Richtig lautet sie: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Kann! Hier umschiffen wir bereits die Dialektik, die uns in leichtfertiger Deduktion glauben machen möchte, dass jeder Reisende etwas zu erleben hat, was er dann auch noch – wahrheitsgemäß – den Daheimgebliebenen erzählt. In Notsituationen darf gelogen werden.
Erst kürzlich ist uns in der Stadt ein Reisender begegnet. Er hatte tatsächlich noch seine unterneh­mungslustigen Mallorca-Klamotten aus der letzten Saison an und stell­te, mit klandestinem Blick hinter der Sonnenbrille, einige schwierige Fra­gen: „Wem gehört das Fahrrad, das gestern in Chicago umgefallen ist?“ – „Wie heißt die Hauptstadt von Bur­kina Faso?“ – „Wo ist in Pfaffenhofen ein Biergarten?“ Das Fahrrad ge­hört Johnny Rourke. Die Stadt heißt Ouagadougou. Und der Biergarten ist, ja, also der Biergarten, der Bier­garten müsste hier irgendwo sein.

Auf der Suche nach dem verlorenen Biergarten

Ist er nicht. Es gibt einige Gaststät­ten in der Stadt, die ihren Gästen den Luxus bieten, im Freien zu sitzen, um dort von ihren Reiseerlebnissen zu flunkern und eine Maß – oder auch zwei – zu genießen. Aber nicht alles, was ein bisschen Grün und frische Luft mit Bier verbindet, verdient den Namen Biergarten. Ein Garten, sagt uns der Etymologe, sei ein zart „umgürteter Raum“, in dem man sich wohlfühlen kann – und dann noch ein Bier: perfekt!
Ein Anflug dieser Beschaulichkeit hatte sich vor Jahren auf dem Haupt­platz niedergelassen, unter mäch­tigen Kastanien, und niemand mag sich mehr daran erinnern, wie der Sigl-Wirt diesen verzweifelten Ver­such, ein Stück bayerischer Tradition in der Stadt zu erhalten, resignierend aufgab.
Das Wahre war es ja nicht. Aber seien wir ehrlich: Wer träumt nicht heim­lich von einem Biergarten in der Stadt, der all die klassischen Voraus­setzungen erfüllt? Schattige Bäume, fesche Bedienung, vielleicht ein bis­schen knirschenden Kiesel zwischen den Bänken, und dazu dann ein Bier, das die deftige Brotzeit genüsslich und gehorsam in den zufriedenen Magen geleitet.
Einem Gerücht zu Folge soll sogar Bürgermeister Herker, von der Sehn­sucht nach dieser beschaulichen Idylle getrieben, kilometerweit durch die Hallertau fahren und in einem schattigen Schlossgarten einkehren, um dann gedankenschwer in seine biergartenlose Stadt zurückzukehren. Die Pflicht ruft, und der Hauptplatz möchte umgestaltet werden: Ist da eventuell ein Biergarten mit drin? Entschuldigung, Scherzfrage! Obwohl: Die Zeichen der Zeit weisen darauf hin. Eine alte bayerische Weisheit lautet, dass Bier und Klo zusammen gehören wie Weißwurst und Senf. nicht, dass Weißwurst unbedingt etwas mit Weisheit zu tun hätte; da möchte sich nur die Dialektik wieder einschmeicheln! Aber die vier Komponenten der genannten Weisheit haben doch eines gemein- sam: Die Einen werden seit ewigen Zeiten und mit wachsender Begeiste- rung in die Anderen getaucht, Senf in Weißwurst, Bier ins Klo. Und jetzt brauchen wir die Dialektik, ob sie nun will oder nicht! Da hat doch tatsächlich ein lokaler Künstler auf dem Hauptplatz, vor dem Rentamt, eine These aufgestellt!

These? Antithese? Genau: alles fließt!

Manfred Habl, der Schöpfer dieses Werks, hat dafür auch gleich freundlicherweise die Erklärung mitgeliefert: „Weil Kunst ein Bedürfnis ist“. Die These in Form eines Toilettenhäuschens, in edlem gold gehalten, mit Aufschriften, die wie zweideutige Weisheiten daherkommen („Werbung ist Macht, weil sie macht“), ist das materialisierte Versprechen an die Öffentlichkeit, beim Verspüren eines Bedürfnisses Erleichterung zu verschaffen. gut, noch fehlt uns das Bedürfnis; doch Thesen, so lehrt uns alter Philosophen Weisheit, entwickeln Eigendynamik, die uns zwangs- läufi g zur Antithese führt. Das lässt hoffen. Wenn diese öffentliche Bedürfnisanstalt ein Bedürfnis weckt, was böte sich zur Unterstützung geradezu klassisch an? Ein Biergarten! Denn wo Bier raus kann, muss auch Bier rein. Der Etymologe weist uns übrigens darauf hin, das Klosett sei ein „umschlossener Raum“, und schon daran zeige sich eine nicht zu leugnende Affi nität zum „umgürteten Raum“ des Biergartens. Man sieht also, wenn schon nicht alles Eins ist, so ist es doch auf geheimnisvolle Weise mit einander verbunden. Hat das goldene Klo aber wirklich die Macht, uns einen Biergarten zu bescheren? Panta rhei, Kunst im Fluss, oder, und hier gibt sich die Dialektik ein letztes Mal die Ehre, alles fließt in Kunst, in ein vergoldetes Kunstwerk. Uns traurige Philosophen aber, unter imaginären Kastanien hinter einer geträumten Maß sinnierend, wird weiterhin, bis zum Auftreten eines Bedürfnisses, die so beliebte wie ungelöste Frage beschäftigen: Was war zuerst, Huhn oder Ei? Schenkt uns das Ei ein Huhn, oder legt uns das Huhn ein Ei?
Ein goldenes? Wie Habl?



Fotos und mehr bietet http://www.das-goldene-klo.de/

So, und jetzt?

Das ist ja wirklich alles schön, was man da so machen kann; aber wie geht's denn jetzt weiter?
Dauert ein bisschen, bis ich hier die Kurve kriege, doch dann...
Scheint ein interessantes Projekt zu werden!
Bis demnächst also!