Dienstag, 3. Februar 2009

... denn der Hund kann nicht lesen

Wer ein Faible hat für ergreifende Liebesgeschichten vor den dramatischen Hintergründen eines Krieges und gleichzeitig fasziniert ist von den Komplikationen, die sich beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen zwischen Mann und Frau ergeben, wird jetzt sofort stutzen. Wer kann nicht lesen?
Richtig: Der Wind! Der Wind kann nicht lesen, und allen, die diesen wunderbaren Roman gelesen haben, hat sich diese Feststellung unauslöschbar im Gedächtnis festgesetzt. Nun wissen wir aber, die den grauen Zellen mit wissenschaftlicher Präzision auf die Beine helfen, dass das Eine das Andere nicht ausschließt. Es ist also durchaus möglich, dass ein Hund seine Schlappohren in den Wind hält und beide nicht lesen können. Wobei ich mir beim Hund sicher bin; dem Wind allerdings traue ich zu, dass er zumindest Gedanken lesen kann. Er plaudert sie nur nicht bedenkenlos aus.
Der Titel des Romans geht übrigens auf ein japanisches Gedicht zurück, das wohl die Sinnlosigkeit thematisiert, die allen mahnenden, insbesondere den geschriebenen Worten innewohnt: „Wenn auch die Worte geschrieben sind:/ ‚Nicht pflückt die Blüten! Sind lebend Wesen!’ /Die Zeichen vermögen nichts wider den Wind./ Denn der Wind kann nicht lesen.“
Der Handlung des Romans spielt in Fernost, wo dem Hund, im Gegensatz zur Himmelsmacht Wind, keine besondere Liebe entgegengebracht wird, und deshalb besteht Grund zur Annahme, dass man dem Hund dort nicht mal die Fähigkeit des Nicht-Lesen-Könnens zutraut. Ein Hund kann gar nichts; er geht nur im Weg um.
In kulturell hochentwickelten Zivilisationen wie Bayern ist der Hund nicht nur des Jägers, sondern überhaupt des Menschen bester Freund. Doch nicht mal einem allerbesten Freund würden wir erlauben, seine menschlichen Geschäfte in unserem Wohnzimmer zu erledigen. Für bestimmte Tätigkeiten hat sich der Mensch bestimmte Örtlichkeiten eingerichtet; das ist gut so und nennt sich funktionales Leben. Üblicherweise kann der gesunde Menschenverstand in einer Küche nicht wohnen, in einem Wohnzimmer nicht schlafen und in einem Schlafzimmer nicht kochen. Außer mit Gewalt. Einem Hund ist das egal. Er würde in einer Küche auch …
Da in einer Küche nur gekocht wird, muss der Hund raus. Wenigstens zwischendurch, um sein Geschäft zu erledigen. Ich habe schon oft gehört, dass ein Hund raus muss, weil er Bewegung braucht, und ich bin auch überzeugt, dass dasselbe für den Zweibeiner gilt, der sich als sein Herrchen ausgibt, doch ich habe ebenso den Verdacht, dass dem Hund damit ein Ausgleich geboten wird für die Verweigerung eines speziellen Örtchens, das sein Herrchen vor und/oder nach dem Ausgang mit Bewegung wie selbstverständlich aufzusuchen pflegt.
So schön ist nun der Spazierweg an der Wolnzach entlang auch wieder nicht, doch von geführten Hunden wird er gerne genommen. Wer die Häufigkeit der Haufen, die die Vierbeiner nicht nur am Rande des Weges, sondern auch mitten auf dem selben wie in sich zusammengesunkene braune Slalomstangen für sportliche Radfahrer platzieren, als Indiz nimmt für die Beliebtheit des Weges, könnte zu dem Schluss kommen, dass die Marktgemeinde in ihren Anstrengungen, den Tourismus im Ort auszuweiten, gut beraten wäre, Hunde (die natürlich mit Herrchen kommen) als eventuelle neue Zielgruppe ins Auge zu fassen.
So weit wird es, der Vernunft sei Dank, nicht kommen. Denn der Weg ist jetzt bereits überlastet, an seine Kapazitätsgrenze gestoßen. Mehr muss wirklich nicht sein, und weniger wäre schon besser; nichts wäre am Besten. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Gemeinde nun Schilder aufgestellt, die, zwar nicht in Form eines japanischen Gedichts, aber ebenso eindringlich, bittend fordern: „Hunde bitte anleinen! Bitte Wege u. Wiesen nicht als Hundeklo benutzen“.
Wir werden die Entwicklung wohlwollend beobachten, wiewohl wir kein großes Vertrauen in eine umfassende Besserung der Verhältnisse setzen. Eher tendieren wir zu asiatischen Weisheiten: „Wenn auch die Worte geschrieben sind: Die Zeichen vermögen nichts wider den Hund, denn der Hund kann nicht lesen“. Wir wissen dies natürlich auch ohne asiatische Weisheit, das ist ein alter Hut. Beunruhigender ist, dass die Haufen nicht weniger werden, und das legt den Verdacht nahe, dass der, den der Hund an der Leine hat, des Lesens genauso wenig kundig ist wie der Hund.

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