Dienstag, 3. Februar 2009

Die Opferweißwurst




Jeder weiß es. Das Leben ist hart. Mancher mag da noch hinzufügen: aber fair, doch damit ist sicher nicht der biblische Sündenbock einverstanden, den man im 3. Buch Mose mit den Sünden des Volkes beladen in die Wüste jagte – zum Verhungern. Er hätte sich sicher was Schöneres vorstellen können als geopfert zu werden.
Das Leben ist hart, wenn’s um die Wurst geht. Meine Großmutter hat immer eine nette Geschichte erzählt. Sie spielt in Spanien und handelt von einer armen Wurst. Immer wenn die Familie beim Essen saß, kamen die Hunde der Umgebung und belagerten den Tisch. Also warf die kluge Hausfrau den Hunden aus dem großen Kessel eine Wurst zu. Nicht damit auch die Vierbeiner satt würden, sondern aus Berechnung. Die Köter waren beschäftigt: Sie stritten um die Wurst und die Familie konnte in Ruhe ihr Mahl einnehmen.
Ohne hinterhältige Berechnung, aber mit Sinn für kulinarische Finesse hat nun das Volk südlich des Weißwurstäquators eine besondere Form des Opfers entwickelt. Immer kurz vor dem 11-Uhr-Läuten, wenn der Kessel auf den Herd landete, um die geliebten Weißwürste aufzunehmen, setzte sich mein Großvater in die Küche, zog ganz langsam sein Messer aus der Tasche, suchte mit dem scharfen Blick des Kenners eine Wurst aus. Mit Bedacht und aller Sorgfalt pulte er ihr liebevoll die Haut ab. Dann landete sie im Kessel. Nackt und bloß kochte sie dort vor sich hin, und genießerisch beobachtete mein Großvater, wie die feinen Geschmackstoffe sich aus der Wurst lösten und im Sud verteilten.
Erst wenn der Großvater das Zeichen gab, erst wenn der Sud eine Färbung angenommen hatte, die ihm, dem Meister der Weißwurst, die gewünschte Sättigung des Suds mit Weißwurstgeschmack garantieren konnte, durften die restlichen Weißwürste eingelegt werden. Und die geschälte, ausgelaugte Wurst wurde entfernt, in die Wüste geschickt. Sie, das Opfer, hatte ihre Schuldigkeit getan.
Nun kommt die Physik ins Spiel. Die „Opferweißwurst“, so erklärte der Großvater uns Kindern gerne und immer wieder, habe den Sud gesättigt. Deshalb könnten die übrigen Weißwürste jetzt beruhigt vor sich hin kochen und ihren vollen Weißwurstgeschmack, den er und sein Volk so lieben, nicht mehr an den Sud abgeben: „Das ist ein physikalisches Gesetz“, postulierte er und hatte sogar einen Namen dafür, den sich keiner merken konnte und der irgendwie nach ausgleichender Gerechtigkeit klang.
Physikalische Gesetze gelten immer, überall und, vor allen Dingen, in allen Kesseln. Seit 18 Jahren brodelt im Wolnzacher Rathaus-Kessel der selbe Bürgermeister, und man sollte annehmen, dass der Sud so richtig „g’schmackig“ geworden ist. Jetzt, vor der Wahl, nach der sich der Bürgermeister in die Wüste des Landkreises verabschiedet, und wo die potenziellen Nachfolger sich noch geschmacklich profilieren wollen, würde ihnen der Großvater wohl empfehlen, doch einfach mutig und kopfüber in den Kessel zu springen. Und unter Anwendung seiner physikalischen Gesetze erhielte man folgendes Ergebnis: Je geschmackloser einer eintaucht, desto größer wäre die Wahrscheinlichkeit, mit Bürgermeister-Geschmack wieder aufzutauchen. Pech dagegen hätte der, dessen starker Eigengeschmack keine Aufnahme der Ingredienzien aus dem Sud mehr zulässt. Möglicherweise hat er aber danach wenigstens Schwimmen gelernt, und diese Fähigkeit soll ja Grundvoraussetzung dafür sein, um in einem Haifischkessel zu überleben.
Und was lernt der Wähler, dem ein schwerer Gang zur Urne bevorsteht? Richtig: Das Leben ist hart. Hart wie eine Opferweißwurst.

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